Der Aufbau der Fakultät Sozialarbeit
in Archangelsk hat gezeigt, dass
Hochschulreformen in Russland am ehesten in neuen Studienrichtungen möglich
sind, wo auf Grund geringer Erfahrungen die von Moskau vorgegebenen
Lehrpläne formbar sind. Allerdings wäre ohne die Vorlesungen, Übungen,
Besuche und Hospitationen von Professoren und Praktikern aus Deutschland das
reformorientierte Studium so kaum möglich gewesen. Auch der Einsatz
modernster Medien kann in Bereichen, wo es auf die Arbeit mit Menschen
ankommt, den Einsatz von Personen nur ergänzen, nicht ersetzen.
Internationaler
Standard: Der Austausch mit dem westlichen Ausland ist wegen
der langen Isolierung wichtig, um den Anschluß an den Standard in den Geistes-,
Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zu erreichen. Die Umbenennung
von Lehrveranstaltungen z.B. aus Marxismus- Leninismus in Politologie oder
Soziologie, durchgeführt von den gleichen Leuten, oft mit oberflächlich
veränderten Inhalten, ist keine Erneuerung. Derartige Versuche entziehen sich
den Veränderungen; Anstöße von außen sind wichtig, aber ohne Reformierung
russischer Hochschulen von innen auf Dauer erfolglos.
In der Lehre fehlen Fachleute für
Psychodiagnostik, Recht insbes. Sozialrecht,
Prävention, soziale Innovation, Sozialmedizin, Korrektionspädagogik, Psychologie,
Sozialpädagogik, Sozialethnographie und Demographie. Den Studierenden fehlen
Kenntnisse über Methoden, moderne Technologien, Geschichte, Soziologie,
Politologie, Ökonomie. Die Beschäftigung mit ausländischer Literatur und mit
Sprachen tragen zur Öffnung der Hochschulen bei. Die Chance, zum Studium
oder für Praktika ins Ausland zu kommen, stärkt die Motivation und die
Kooperation. Die Durchführung von Sprachkursen durch den Deutschlehrstuhl
(Fremdsprachliche Fakultät) erwies sich als zu aufwändig.
Die russische Wissenschaft kann in vielen
Bereichen auf eine stolze Tradition
verweisen und hat einen hohen Standard. Da die Sozial- und
Rechtswissenschaften Jahrzehnte lang unter der Diktatur der Partei standen,
haben sie einen gewaltigen Aufholbedarf. Die Zusammenarbeit steht und fällt mit
dem Einfühlungsvermögen und der Sensibilität westlicher Vertreter.