4.1.4 Deutschlehrstuhl
Mit dem Deutschlehrstuhl der Pomoren Universität begann die Zusammenarbeit zwischen Archangelsk und Kiel 1988/89. Im Jahr 1990 lehrte der Koordinator ein Semester am Deutschlehrstuhl, hielt Vorlesungen an anderen Fakultäten und Hochschulen in Archangelsk. Viele Verbindungen reichen in die schwierige Zeit (Beginn der Perestroika) zurück. Für die langjährige Zusammenarbeit waren die Erfahrungen aus der Sowjetzeit eine wichtige Basis.
Die ausgezeichneten Lehrkräfte waren und sind die Voraussetzung für das Funktionieren internationaler Projekte, ohne gute Dolmetscherinnen geht nichts. Hervorzuheben am Deutschlehrstuhl sind insbes. Frau Prof. Elena Sussojewa und Prof. Viktor Myrkin, der leider verstorbene frühere Leiter. Sie und ihre Kolleginnen haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Kooperation mit deutschen Hochschulen und Praxiseinrichtungen so positiv entwickelt hat. 
graphic Die Kollegen Prof. Viktor Myrkin (ganz links, inzwischen verstorben) und Prof. Elena Sussojewa 3. v. l.), die den Deutschlehrstuhl leiten und wissenschaftlich betreuen, sowie die hilfsbereiten Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl haben die Koordination mit Kiel ermöglicht. Durch sie wurden viele Beziehungen angeknüpft, ohne die nichts geht. Der Deutschlehrstuhl organisierte wunderschöne Ausflüge an die Nördliche Dwina. Sergej, der Gitarrespieler, war einmal Student bei Prof. Schmidt und ist jetzt Dozent am Lehrstuhl.
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Zur 75-Jahr-Feier schrieb F. Schmidt für eine Veröffentlichung der Ehrendoktoren über Perspektiven der Pomoren Universität, hier ein Auszug: 
Die Bedeutung der Fremdsprachenausbildung für internationale Projekte
Die Bedeutung der Fremdsprachenausbildung für internationale Projekte und damit für die Internationalisierung des Studiums, für die Verbindung von Hochschulen und Region mit anderen Ländern und Kulturen ist am besten an einem Großprojekt über mehrere Jahre aufzuzeigen. Aus internationalen Projekten, vor allem wenn sie in Kooperation mit der Praxis erfolgen, können entscheidende Impulse für eine ganze Region entstehen und zur Zusammenarbeit mit Verwaltungen und Einrichtungen sowie zu Folgeprojekten führen. Hier eine Übersicht über Entwicklung und Inhalte der Projekte.
Die Zusammenarbeit mit der Pomoren Universität in Archangelsk begann 1989 mit dem Lehrstuhl für Deutsch, an dem der Verfasser 1990 ein Semester lehrte (Sachkunde, Sprachübungen, Vorträge an anderen Fakultäten usf.) und den hohen Standard der Ausbildung schätzen lernte. Für die langjährige Zusammenarbeit war wichtig, dass der Koordinator die Sowjetzeit erlebt hat, um Vergleiche anstellen und Entwicklungen verstehen zu können. Langfristige Kontakte und Kontinuität sind für den Erfolg internationaler Kooperationen entscheidend.
Der Auf- und Ausbau der Fakultät Sozialarbeit an der Pomoren Universität wurde wegen der schwierigen Finanzlage russischer Hochschulen mit Hilfe eines einjährigen Tempus-Tacis-Projektes (EU) und eines fünfjährigen Alexander- Herzen-Projekts (BM für Bildung und Forschung/ DAAD) durchgeführt. Abgesehen von der materiellen Ausstattung (PC, Video) wurden durch deutsche Professoren und Praktiker moderne Methoden und Inhalte in der Sozialarbeit eingeführt. Das wäre ohne Übersetzungs- und Dolmetscherarbeit des Deutschlehrstuhls nicht möglich gewesen.
Da das Studium Sozialarbeit von Anfang eng mit der Praxis verzahnt war (kaum ein anderes Studium ist so mit den örtlichen, regionalen und staatlichen Gegebenheiten verbunden), gehörten zu den Projekten Übungen und Fortbildungen deutscher Praktiker sowie Besuche und Hospitationen von Lehrkräften und Praktikern in deutschen Einrichtungen bzw. an den beteiligten drei deutschen Fachhochschulen (Soziale Arbeit und Gesundheit). Auch Besuche russischer Einrichtungen und Gespräche mit Fachleuten waren wichtig. Ohne Dolmetscherinnen wäre das nicht möglich gewesen. Es war effektiver, Dolmetscherinnen mitzunehmen als in D. stundenweise Dolmetscherinnen zu nehmen (Kosten, Betreuung in der Freizeit, kulturelle Veranstaltungen).
Die Qualität der Übersetzungen war besonders am Anfang des ersten Projekts entscheidend, als es darum ging, die Curricula der Fachhochschule Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, russischen Kolleginnen zu verdeutlichen; für sie, diese zu hinterfragen. Angesichts neuer Begriffe, die es in der Sowjetunion nicht gab, wurde die Aufgabe mit Hilfe der Leiterin des Deutschlehrstuhls und ihrer Kolleginnen gelöst. Dabei ging es nicht nur um genaue Übersetzung, sondern auch um die Bereitschaft, sich mit dem neuen Vokabular und deren Inhalten auseinanderzusetzen.
Es wäre utopisch, von Kollegen, die unter schwierigen Bedingungen (Reise, Infrastruktur, ungeheizte Räume) Vorlesungen hielten, zu erwarten, russisch zu lernen; das galt erst recht für Praktiker, die eine anstrengende Tätigkeit ausüben. Länger als eine Woche konnten diese nicht vom Dienst fernbleiben, verwendeten oft ihren Urlaub. Umgekehrt war es russischen Praktikern nicht möglich, die deutsche Sprache so zu lernen, um Fachgesprächen zu folgen. Die schwierige soziale Lage erlaubte nur Abendkurse, das reichte für einige Sätze, die Versuche mussten aufgegeben werden.   
Es hätte keinen Sinn gehabt, westliche Studienmodelle nach Russland zu übertragen. Die sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen, mentalen und historischen Rahmenbedingungen erfoderten ein eigenständiges, auf die Verhältnisse zugeschnittenes Studium. Um die konkrete Situation verstehen und bei Gegenbesuchen berücksichtigen zu können, waren gute Dolmetscherinnen erforderlich. Ohne den hohen Ausbildungsstand am Deutschlehrstuhl wären die Projekte so nicht durchführbar gewesen!
Für Russland war das Studium Sozialarbeit neu, es fehlten Fachleute; soziale Einrichtungen waren für bestimmte Klientelgruppen nicht vorhanden oder arbeiteten mit veralteten Methoden (z. B. Behindertenarbeit nur medizinischen). Neben dem Aufbau des Studiums mussten soziale Einrichtungen modernisiert oder neu konzipiert werden. Diese Aufgabe übernahm der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) mit seinen Einrichtungen. Auch dazu waren ausgebildete Dolmetscherinnen erforderlich.
Für die Modernisierung bzw. Aufbau waren zahlreiche Gespräche mit den Verwaltungen von Gebiet und Städten u. a. Institutionen gemeinsam mit der Fakultät Sozialarbeit erforderlich, auch mit dem Rektor der Pomoren Universität bzw. den Rektoren der anderen am Projekt beteiligten Hochschulen (Medizinische Universität Archangelsk, Humanistisches Institut Sewerodwinsk). Es wurden leitende Beamte und Mitarbeiter nach Deutschland eingeladen, um sie von den Vorteilen bestimmter Einrichtungen, Methoden und von der Notwendigkeit von Aus- und Weiterbildungen zu überzeugen. Ohne qualifizierte Dolmetscherinnen hätten die auf Nachhaltigkeit angelegten Ergebnisse nicht erzielt werden können. Vielleicht könnte man die Sprachausbildung für Fortgeschrittene nach Fachgebieten ausrichten, um den Einstieg zu erleichtern.
Der Aufbau von privaten Trägern der Sozialen Arbeit (NGO’s), die in Europa den Hauptteil der Sozialarbeit durchführen, weil sie schneller, billiger, flexibler, effizienter und vielseitiger als staatliche Einrichtungen arbeiten, ist nicht nur für Klienten wichtig, sondern auch für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. [Leider sind in letzter Zeit Rückschritte zu beobachten.] Da die meisten sozialen Einrichtungen in staatlicher oder kommunaler Regie arbeiten bzw. NGO’s erst in Ansätzen vorhanden sind, bleibt viel zu tun.