Mit dem Deutschlehrstuhl der Pomoren Universität
begann die Zusammenarbeit
zwischen Archangelsk und Kiel 1988/89. Im Jahr 1990 lehrte der Koordinator ein
Semester am Deutschlehrstuhl, hielt Vorlesungen an anderen Fakultäten und
Hochschulen in Archangelsk. Viele Verbindungen reichen in die schwierige Zeit
(Beginn der Perestroika) zurück. Für die langjährige Zusammenarbeit waren die
Erfahrungen aus der Sowjetzeit eine wichtige Basis.
Die ausgezeichneten Lehrkräfte waren
und sind die Voraussetzung für das
Funktionieren internationaler Projekte, ohne gute Dolmetscherinnen geht nichts.
Hervorzuheben am Deutschlehrstuhl sind insbes. Frau Prof. Elena Sussojewa und
Prof. Viktor Myrkin, der leider verstorbene frühere Leiter. Sie und ihre Kolleginnen
haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Kooperation mit deutschen
Hochschulen und Praxiseinrichtungen so positiv entwickelt hat.
Die Kollegen Prof. Viktor Myrkin (ganz links,
inzwischen verstorben) und Prof. Elena Sussojewa 3. v. l.), die den
Deutschlehrstuhl leiten und wissenschaftlich betreuen, sowie die hilfsbereiten
Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl haben die Koordination mit Kiel ermöglicht. Durch
sie wurden viele Beziehungen angeknüpft, ohne die nichts geht. Der
Deutschlehrstuhl organisierte wunderschöne Ausflüge an die Nördliche Dwina.
Sergej, der Gitarrespieler, war einmal Student bei Prof. Schmidt und ist jetzt
Dozent am Lehrstuhl.
Zur 75-Jahr-Feier schrieb F. Schmidt für
eine Veröffentlichung der Ehrendoktoren
über Perspektiven der Pomoren Universität, hier ein Auszug:
Die Bedeutung der Fremdsprachenausbildung
für internationale Projekte
Die Bedeutung der Fremdsprachenausbildung
für internationale Projekte und
damit für die Internationalisierung des Studiums, für die Verbindung von
Hochschulen und Region mit anderen Ländern und Kulturen ist am besten an
einem Großprojekt über mehrere Jahre aufzuzeigen. Aus internationalen
Projekten, vor allem wenn sie in Kooperation mit der Praxis erfolgen, können
entscheidende Impulse für eine ganze Region entstehen und zur Zusammenarbeit
mit Verwaltungen und Einrichtungen sowie zu Folgeprojekten führen. Hier eine
Übersicht über Entwicklung und Inhalte der Projekte.
Die Zusammenarbeit mit der Pomoren Universität
in Archangelsk begann 1989
mit dem Lehrstuhl für Deutsch, an dem der Verfasser 1990 ein Semester lehrte
(Sachkunde, Sprachübungen, Vorträge an anderen Fakultäten usf.) und den
hohen Standard der Ausbildung schätzen lernte. Für die langjährige
Zusammenarbeit war wichtig, dass der Koordinator die Sowjetzeit erlebt hat, um
Vergleiche anstellen und Entwicklungen verstehen zu können. Langfristige
Kontakte und Kontinuität sind für den Erfolg internationaler Kooperationen
entscheidend.
Der Auf- und Ausbau der Fakultät
Sozialarbeit an der Pomoren Universität wurde
wegen der schwierigen Finanzlage russischer Hochschulen mit Hilfe eines
einjährigen Tempus-Tacis-Projektes (EU) und eines fünfjährigen Alexander-
Herzen-Projekts (BM für Bildung und Forschung/ DAAD) durchgeführt.
Abgesehen von der materiellen Ausstattung (PC, Video) wurden durch deutsche
Professoren und Praktiker moderne Methoden und Inhalte in der Sozialarbeit
eingeführt. Das wäre ohne Übersetzungs- und Dolmetscherarbeit des
Deutschlehrstuhls nicht möglich gewesen.
Da das Studium Sozialarbeit von Anfang
eng mit der Praxis verzahnt war (kaum
ein anderes Studium ist so mit den örtlichen, regionalen und staatlichen
Gegebenheiten verbunden), gehörten zu den Projekten Übungen und
Fortbildungen deutscher Praktiker sowie Besuche und Hospitationen von
Lehrkräften und Praktikern in deutschen Einrichtungen bzw. an den beteiligten
drei deutschen Fachhochschulen (Soziale Arbeit und Gesundheit). Auch Besuche
russischer Einrichtungen und Gespräche mit Fachleuten waren wichtig. Ohne
Dolmetscherinnen wäre das nicht möglich gewesen. Es war effektiver,
Dolmetscherinnen mitzunehmen als in D. stundenweise Dolmetscherinnen zu
nehmen (Kosten, Betreuung in der Freizeit, kulturelle Veranstaltungen).
Die Qualität der Übersetzungen
war besonders am Anfang des ersten Projekts
entscheidend, als es darum ging, die Curricula der Fachhochschule Kiel,
Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, russischen Kolleginnen zu
verdeutlichen; für sie, diese zu hinterfragen. Angesichts neuer Begriffe, die es in
der Sowjetunion nicht gab, wurde die Aufgabe mit Hilfe der Leiterin des
Deutschlehrstuhls und ihrer Kolleginnen gelöst. Dabei ging es nicht nur um genaue
Übersetzung, sondern auch um die Bereitschaft, sich mit dem neuen Vokabular
und deren Inhalten auseinanderzusetzen.
Es wäre utopisch, von Kollegen, die
unter schwierigen Bedingungen (Reise,
Infrastruktur, ungeheizte Räume) Vorlesungen hielten, zu erwarten, russisch zu
lernen; das galt erst recht für Praktiker, die eine anstrengende Tätigkeit ausüben.
Länger als eine Woche konnten diese nicht vom Dienst fernbleiben, verwendeten
oft ihren Urlaub. Umgekehrt war es russischen Praktikern nicht möglich, die
deutsche Sprache so zu lernen, um Fachgesprächen zu folgen. Die schwierige
soziale Lage erlaubte nur Abendkurse, das reichte für einige Sätze, die Versuche
mussten aufgegeben werden.
Es hätte keinen Sinn gehabt, westliche
Studienmodelle nach Russland zu
übertragen. Die sozialen, wirtschaftlichen, rechtlichen, mentalen und historischen
Rahmenbedingungen erfoderten ein eigenständiges, auf die Verhältnisse
zugeschnittenes Studium. Um die konkrete Situation verstehen und bei
Gegenbesuchen berücksichtigen zu können, waren gute Dolmetscherinnen
erforderlich. Ohne den hohen Ausbildungsstand am Deutschlehrstuhl wären die
Projekte so nicht durchführbar gewesen!
Für Russland war das Studium Sozialarbeit
neu, es fehlten Fachleute; soziale
Einrichtungen waren für bestimmte Klientelgruppen nicht vorhanden oder
arbeiteten mit veralteten Methoden (z. B. Behindertenarbeit nur medizinischen).
Neben dem Aufbau des Studiums mussten soziale Einrichtungen modernisiert
oder neu konzipiert werden. Diese Aufgabe übernahm der Deutsche Paritätische
Wohlfahrtsverband (DPWV) mit seinen Einrichtungen. Auch dazu waren
ausgebildete Dolmetscherinnen erforderlich.
Für die Modernisierung bzw. Aufbau
waren zahlreiche Gespräche mit den
Verwaltungen von Gebiet und Städten u. a. Institutionen gemeinsam mit der
Fakultät Sozialarbeit erforderlich, auch mit dem Rektor der Pomoren Universität
bzw. den Rektoren der anderen am Projekt beteiligten Hochschulen (Medizinische
Universität Archangelsk, Humanistisches Institut Sewerodwinsk). Es wurden
leitende Beamte und Mitarbeiter nach Deutschland eingeladen, um sie von den
Vorteilen bestimmter Einrichtungen, Methoden und von der Notwendigkeit von
Aus- und Weiterbildungen zu überzeugen. Ohne qualifizierte Dolmetscherinnen
hätten die auf Nachhaltigkeit angelegten Ergebnisse nicht erzielt werden können.
Vielleicht könnte man die Sprachausbildung für Fortgeschrittene nach
Fachgebieten ausrichten, um den Einstieg zu erleichtern.
Der Aufbau von privaten Trägern der
Sozialen Arbeit (NGOs), die in Europa den
Hauptteil der Sozialarbeit durchführen, weil sie schneller, billiger, flexibler,
effizienter und vielseitiger als staatliche Einrichtungen arbeiten, ist nicht nur für
Klienten wichtig, sondern auch für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.
[Leider sind in letzter Zeit Rückschritte zu beobachten.] Da die meisten sozialen
Einrichtungen in staatlicher oder kommunaler Regie arbeiten bzw. NGOs erst in
Ansätzen vorhanden sind, bleibt viel zu tun.